Beitrag vom 12.01.2023, von Bianca Speckhan
Als einer der ältesten Möbelhersteller hat Thonet die Designwelt maßgeblich geprägt. Neben der ansprechenden, zeitlosen Formsprache haben die Stücke des Herstellers ihre Popularität vor allem auch ihrer hervorragenden Qualität und Langlebigkeit zu verdanken. Nachdem wir bereits im vergangen Jahr mit Creative Director Norbert Ruf über das nachhaltige Erfolgskonzept von Thonet gesprochen haben, trafen wir ihn erneut zu einem Interview und erhielten spannende Einblicke in das vergangene Jahr.
Hallo Herr Ruf, vielen Dank für Ihre Zeit.
Als Creative Director hatten Sie im vergangenen Jahr viel mit Systematik, Recherche und Projektsteuerung, aber auch mit Messebesuchen und Designer:innen zu tun. Wie haben sich Ihre Tätigkeiten im vergangenen Jahr verändert?
Das „Tagesgeschäft“ gibt es natürlich dauernd und darf auch nicht vernachlässigt werden, da es das Fundament bildet. Dennoch gilt es, kontinuierlich einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Sich aus dem Heute kommend, mit dem Morgen auseinanderzusetzen: Das Verständnis von Arbeit und Arbeitswelten verändert sich, Beschaffungswege und etablierte Arten von Materialien und Energieressourcen werden hinterfragt.
Auch die Frage danach, wie sehr ein Produkt tatsächlich nötig ist und wenn es das ist, wie es dann gestaltet sein soll, wird neu gestellt. In solchen Kontexten stellen wir unsere erprobten Sichtweisen und Prozesse auf den Prüfstand und überlegen, wie wir als Hersteller darauf reagieren.
Was gehörte im letzten Jahr zu Ihren Thonet-Highlights?
Ein Highlight war sicherlich die zurückgewonnene Freiheit – Zeit miteinander zu verbringen, Freunde, Kolleg:innen und Kund:innen persönlich zu treffen. Aber auch, dass wir im Rahmen der Möbelmesse in Mailand im Juni, im historischen Circolo Filologico eine bemerkenswerte Inszenierung von Sebastian Herkner zeigen durften.
Im Oktober konnten wir in Köln im Rahmen der Büromöbel-Messe Orgatec die Qualitäten unserer Möbel im Kontext heutiger Arbeitswelten, auf einem Stand, den Werner Aisslinger für uns gestaltet hatte, illustrieren.
Welche persönliche Geschichte verbindet Sie mit Thonet?
Da gibt es einige, aber diese ist für mich vielleicht mit die Bedeutendste: Der Inhaber der Möbelfirma, für die ich nach meinem Studium tätig war, nutzte immer den Bugholzstuhl 209 als Maßstab für Haltung und gelungenes modernes Möbeldesign. Dieses Möbel, das bei ihm daheim an seinem Esstisch stand, prägte schon damals für mich einen Diskurs hinsichtlich der Frage, wie Dinge sein sollten.
Thonet gibt es schon seit fast 200 Jahren. Was denken Sie, ist das Erfolgskonzept?
Wahrscheinlich ist es nicht nur das Eine. Aber die kontinuierliche Bereitschaft nicht zu verharren, sondern offenen Auges durch die Zeit zu gehen und diese nicht modisch aber immer modern zu reflektieren und parallel das Gute zu erkennen, zu bewahren und gleichzeitig zeitgemäß zu halten, helfen sicherlich.
Einige unserer Produkte sind seit über 150 Jahren im Portfolio, wie der klassische Kaffeehausstuhl 214. Wenn wir ihn z.B. immer noch wie vor 150 Jahren fotografieren würden, würde es sicher vielen schwer fallen, sich auch heute noch in sie zu verlieben. Wir eröffnen seit jeher neue Blicke auf ikonische Produkte, die dank ihrer zeitlosen Gestaltung auch heute noch ihre Gültigkeit haben und sich in viele Interieurs stimmig einfügen.
Was war die größte Herausforderung, der sich Thonet im Laufe der Jahre stellen musste?
Vermutlich, dem Bequemlichkeitsimpuls nicht nachzugeben, der aus einem Blick auf das Geleistete entspringen kann.
Woran erkenne ich einen echten Thonet?
Ich wünsche mir, dass alle Produkte von Thonet etwas beinhalten, das sie wiedererkennbar, aber nicht aufdringlich macht – dass sie ihr Umfeld prägen, ohne es zu dominieren.
Ein jedes Original trägt immer auch klare Beweise seiner Herkunft mit sich: Michael Thonet hatte bereits früh im 19. Jahrhundert angefangen, seine Möbel mit Papierschutzmarken oder Prägestempeln zu markieren – und so wird es auch heute noch getan. Dadurch können die jeweiligen Modelle auch zeitlich gut eingeordnet werden.
Im letzten Interview sagten Sie: „Wir fühlen uns verpflichtet Themen aufzugreifen, welche die Gesellschaft aktuell beschäftigen und diese in Produktneuheiten zu übersetzen“. Wie ist Ihnen dieses Vorhaben gelungen?
Als Michael Thonet den Bugholzstuhl erfand, musste man mehrere Wochen auf einen Stuhl warten. Er wurde von einem Schreiner persönlich angefertigt und entsprechend waren sie kostenintensiv. Thonet erfand mit seinem industriellen Fertigungsansatz den drei Groschenstuhl: Er war, im Vergleich zu vorherigen Modellen, günstig, sehr robust und kurzfristig verfügbar. Die besondere Leistung dieser Entwicklung war es, einer veränderten Lebensrealität Ausdruck zu verleihen, die damals vorherrschte.
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Ähnlich ist das neue Verständnis von Arbeit zu bewerten: Hier stellt sich die Frage, was für Produkte in diesem Kontext gebraucht werden. Unsere Erkenntnis: Nicht alles muss zwingend zu einem neuen Produkt führen. Manchmal profitiert ein existierendes Produkt, weil es besser oder haltbarer wird, in einen neuen Kontext gebracht wird oder wir darauf aufbauen und Ergänzungen schaffen.
Wir werden mit Möbeln vermutlich nicht die Welt retten. Aber wir können Themen aufgreifen und ansprechen, welche die gesamte Gesellschaft bewegen.
Bei unserem letzten Gespräch haben Sie uns die Nachhaltigkeitsstrategie von Thonet erklärt. Was möchten Sie an dieser zukünftig noch optimieren?
Das 3-Säulen Konzept, welches das gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen zu Grunde legt, um wirklich nachhaltig zu wirtschaften ist gut und richtig.
Es gilt weiterhin, diese Herangehensweise mit Leben zu füllen und diverse Aktivitäten zu realisieren. Als ein Baustein investieren wir aktuell in eine Photovoltaik Anlage, die uns helfen wird, einen Großteil unseres Stromes solar zu erzeugen.
Welche Möbelstücke gelten bei Thonet als absolute Designklassiker?
Eigentlich ist es unfair, den vielen guten Entwürfen im über die Jahrhunderte gewachsenen Thonet Portfolio gegenüber, manchen etwas Besonderes zuzusprechen. Es ist aber doch zu beobachten, dass sich manche Stücke mehr durchgesetzt haben als andere und etwas heller strahlen.
Dazu gehören sicherlich die Stahlrohr-Freischwinger von Marcel Breuer, S 32 und S 64 aber genauso der Bugholz-Armlehnstuhl 209, den Le Corbusier immer wieder in seiner Architektur eingesetzt hat und ihm etwas erhabenes zusprach. Mit Blick auf die zeitgenössischen Modelle scheint der vielseitige Holzstuhl 118 von Sebastian Herkner das Potenzial zu einem „jungen Klassiker“ zu haben.
Was ist Ihr Lieblingsstück von Thonet?
Bei diesem besonderen Fundus habe ich wirklich die Qual der Wahl. Neben dem Freischwinger S 64, mit dem Marcel Breuer Ende der 1920er gelungen ist, das Bugholzerbe elegant mit dem modernen Material Stahlrohr zu vereinen, hat es mir immer ganz besonders der letzte Entwurf angetan, an welchem wir gearbeitet haben. Aktuell sind das die Formholzstühle S 661 aus dem Jahr 1954, den wir just wieder aufgelegt haben und der gekonnt Präzision und Organik vereint.
Ein spannendes Jahr neigt sich dem Ende zu. Auf welche Thonet – Neuheiten und Highlights dürfen wir uns im neuen Jahr freuen?
Gerade eben haben wir mit Tanqueray Gin eine Edition des jüngst Mies van der Rohe zugeschriebenen Barwagens S 179 auf den Weg gebracht. Diese wurde von Sebastian Herkner gestaltet und läuft zeitlich begrenzt in 2023. Darüber hinaus haben wir einiges vor … aber zunächst gilt es das eingangs erwähnte „Tagesgeschäft“ gut zu machen.
Denn die neuen Produkte von 2022 sollen dahin, wo sie hingehören – zu unseren Kunden. Unsere Möbel sind am besten, wenn sie ein Teil des Alltags werden.
Vielen Dank für diese spannenden Eindrücke!
Beitrag vom 12.01.2023, von Bianca Speckhan