Beitrag vom 11.11.2022, von Wiebke Semm
Ferruccio Laviani gehört zweifelsohne zu den Design-Urgesteinen. Bekannt machten ihn insbesondere seine innovativen Lampendesigns aus Polycarbonat, die in der Welt der Leuchten neue Impulse setzten. Im Jahr 2021 feierte Ferruccio Laviani sein 30-jähriges Jubiläum als Chefdesigner von Kartell. Im Interview spricht er über Nachhaltigkeit, die wichtigsten Meilensteine seiner Karriere und verrät, welches seiner Werke den größten emotionalen Wert für ihn hat.
Herr Laviani, vielen Dank für Ihre Zeit. Möchten Sie verraten, wo Sie sich gerade befinden?
Selbstverständlich, ich bin gerade im Studio, im Zentrum von Mailand, unmittelbar vor der Villa Necchi.
Das hört sich schon jetzt nach einem Designerlebnis an. Genauso wie Ihre berufliche Laufbahn bei Kartell, die nunmehr seit gut 30 Jahren anhält. Was ist das Besondere an dieser Verbindung?
Das ist einfach: Kartell ist das erste Unternehmen, mit dem ich als freier Designer im Jahr 1991 zusammenarbeitete. Ich war noch sehr jung und Kartell das erste Label, das ich von meinen Visionen begeistern wollte, daher war alles sehr aufregend für mich.
Damals befand sich das Unternehmen aufgrund eines Eigentümerwechsels im Umbruch und so ergaben sich für mich als Jung-Designer viele Möglichkeiten. Für diese Chance bin ich bis heute sehr dankbar.
Eine außergewöhnliche Beziehung also. Erinnern Sie sich an ein bestimmtes Projekt, das für Sie besonders herausfordernd war?
Über die Jahre war ich an vielen Projekten beteiligt, die alle auf ihre Weise anspruchsvoll waren. Das Kartell Museum jedoch war wirklich etwas Neues. Es wurde im Jahr 1999 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums von Kartell gegründet.
Vor der Eröffnung mussten alle Produkte, Fotos und Werbemaßnahmen, die in diesem halben Jahrhundert entstanden sind, gesichtet, sortiert und aufbereitet werden. Das war das auch der Moment, an dem ich das erste Mal mit dem Gedanken spielte, Lampen zu designen.
Das Lampen-Design war also nicht schon immer Ihr Steckenpferd?
Nein, das erste Produkt, das ich für Kartell designte, war tatsächlich ein Tisch. Doch als ich während meiner Recherche die Lampenkollektion der 60er und 70er Jahre sah, entflammte in mir der Wunsch, diese neu aufzulegen. Damals wurde daraus aber noch nichts, da man befürchtete, zu nostalgisch zu wirken. Meine erste Lampe für Kartell ist daher eher einem glücklichen Zufall geschuldet.
Und welcher war das?
Seit meinem Start bei Kartell war ich für den Auftritt des Unternehmens beim Salone Internatzionale del Mobile, zuständig. Im Jahr 2000 benötigten wir für den Stand eine passende Beleuchtung und diese sollte natürlich nicht von der Konkurrenz stammen. Also entwickelte ich einen Prototyp der FL/Y Pendelleuchte.
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Die Lampe war ursprünglich nur als Dekoration für den Stand gedacht. Während der Messe war das Interesse der Käufer:innen an der FL/Y jedoch so groß, dass ich mit der Produktion beauftragt wurde. Und so kam ich zu den Lampen [lacht].
Auf die FL/Y folgten viele weitere Lampendesigns. Was ist es, was Sie am dem Produkt Lampe seither fasziniert?
Ich glaube, das Geheimnis hinter dem Produkt Lampe ist ihr kultureller Stellenwert. Sie ist im eigenen Zuhause sehr präsent und bestimmt das Wohnumfeld maßgeblich mit. Gleichzeitig ist eine Lampe nicht so statisch wie ein Tisch, sie kann einfach umplatziert werden und Räumen so eine völlig neue Note geben – Fast wie eine Visitenkarte, an der man ablesen kann, was einer Person gefällt und welchen Stil sie bevorzugt.
Bei all den Produkten, die Sie bisher realisiert haben: Welches ist Ihr Herzensprojekt und warum?
Das ist ja so, als hätte man fünf Kinder und müsse jetzt entscheiden, welches davon das Beste ist. Obwohl ich genau weiß, welches nicht mein bestes Produkt ist, aber das werde ich jetzt nicht sagen [lacht]. Eine meiner Lieblingslampen ist die Taj Lampe, die ich ebenfalls für Kartell entwickelte. Tatsächlich ist diese nicht so erfolgreich gewesen wie andere Produktionen, aber ich verbinde eine persönliche Entwicklung mit ihr.
Das klingt spannend. Was genau meinen Sie damit?
Die Taj ist für mich aus zwei Gründen wichtig: Sie war die erste, die ich nach der sehr beliebten Bourgie Lampe designte. Viele Menschen waren fälschlicherweise der Auffassung, dass ich einen romantischen, neobarocken Stil verfolge. In Wahrheit aber wollte ich mich mit der Bourgie über den Geschmack reicher Leute und deren pompösen Einrichtungsstil lustig machen.
Da das nicht verstanden wurde, wollte ich meinen Standpunkt zu Design mit der nächsten Lampe, der Taj, ganz klar ausdrücken. Sie unterscheidet sich in ihrer Schlichtheit deutlich von der Vorgängerin und hat einen sehr einfachen Aufbau, der mich an ein Komma erinnert.
Und hat diese auch bei Ihnen zuhause einen speziellen Platz?
Ja, den hat sie. Und da wären wir bei dem zweiten Grund, warum ich die Taj sehr schätze: Sie ist meine erste Lampe mit LED-Technologie. Ich habe sie nah an meinem Bett stehen, weil ich ihr Licht als sehr angenehm empfinde. Generell habe ich aber eher Objekte von anderen Designer:innen bei mir zuhause, ich will schließlich nicht in meinem eigenen Showroom wohnen [lacht].
Ihre Lampen bestehen fast vollständig aus Polycarbonat. Welche Vorteile sehen Sie in der Verwendung dieses Materials?
In den frühen 2000er Jahren war Kartell Vorreiter, was den Gebrauch von Plastik angeht. Niemand in der Interieur-Branche hat zuvor diese Art von Material verwendet. Das allererste Projekt war „La Marie“ von Philippe Starck, ein kleiner Stuhl mit flexiblen Beinen.
Auch die transparente Eigenschaft von Plastik war ein großer Hit zu dieser Zeit. Es lag also auf der Hand, weiterhin damit zu arbeiten. Darüber hinaus ermöglichen Lampen aus Polycarbonat besonders schöne Lichtreflexe.
Die Verwendung von Plastik ist also tief in der DNA von Kartell verankert. Passt das aus Ihrer Sicht auch heute noch mit dem viel diskutierten Thema Nachhaltigkeit zusammen?
Es ist wichtig, über Nachhaltigkeit zu sprechen, weil sich unser Planet laufend verändert. Es ist November und wir haben hier in Mailand aktuell 28 Grad. Das ist nicht normal. Viele Menschen gehen immer noch zu unbedacht mit Plastik um und sind respektlos gegenüber der Natur.
Aber wenn ich nun eine Lampe aus Plastik kaufe, ist das etwas ganz anderes. Diese ist nicht dafür bestimmt, am nächsten Tag weggeschmissen zu werden. Ganz im Gegenteil, sie soll ein fester Bestandteil im eigenen zu Hause werden und dort für eine lange Zeit Freude bringen.
Sind bei Kartell trotzdem Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit spürbar?
Absolut. Kartell arbeitet stetig daran, neue biologische Materialien auszumachen, die sich für das Produktdesign eignen. Und auch das verwendete Polycarbonat ist heute zu einem großen Teil recycelt – unter anderem aus alten Plastikflaschen. Damit haben wir schon in den 90er Jahren angefangen. Das Problem war jedoch, dass das recycelte Plastik noch nicht so gut war, die Struktur poröser und weniger ebenmäßig. Es eignete sich nur bedingt für die Produktion von Möbeln. Heute ist das anders – dem nähern wir uns Schritt für Schritt.
Wie heißt es so schön: Gut Ding will Weile haben. Welche Lampe hat Sie bisher die meiste Zeit gekostet und an welchem neuen Produkt arbeiten Sie aktuell?
Die Kabuki hat ungefähr drei Jahre Entwicklungsarbeit beansprucht. Ihre Struktur und das Muster sind sehr komplex und einem Spitzenstoff nachempfunden. Wir mussten sie gemeinsam mit einem Automobilhersteller realisieren, da wir besonders große Plastikteile benötigten.
Nachdem ich in diesem Jahr die kostengünstige Take bei der Mailänder Möbelmesse vorgestellt habe, wird es im kommenden Jahr wieder ein neues Modell geben. Ein Hauch mehr Bourgie, aber simpler und mehr am Puls der Zeit, wenn man es so ausdrücken mag.
Wir sind gespannt! Vielen Dank, Ferruccio Laviani, für Ihre Zeit und dieses interessante Gespräch.
Beitrag vom 11.11.2022, von Wiebke Semm